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Der grosse Bruder will ins Schlafzimmer

Mit dem neuen Ausländergesetz wird den Stimmbürgern die Illusion vermittelt, dass sich Migration über die nationale Gesetzgebung steuern lässt. Dabei wird offenbar erfolgreich an die Ängste mancher Bürger vor dem Fremden appelliert, denn die Zustimmungswerte zu dieser Vorlage sind gemäss den Umfragen unverändert hoch. Doch damit nicht genug: das neue Gesetz beschneidet auch die Freiheitsrechte von Schweizerinnen und Schweizern – wer einen Ausländer heiratet, wird künftig vom Staat bespitzelt!


Diese Regelung erinnert an die Fichen-Affäre oder an George Orwells Horrorvision „1984“: Wer einen Ausländer heiratet, wird grundsätzlich vom Staat der Scheinehe verdächtigt. Schon die gesetzliche Verpflichtung zur gemeinsamen Wohnung ist ein massiver Einschnitt in die persönliche Freiheit und mancherorts finanziell und / oder organisatorisch gar nicht von Beginn weg machbar. Der Staat befragt aber künftig – wird denn das Gesetz angenommen – auch Nachbarn und Freunde über das Eheleben des Schweizers mit der Ausländerin oder der Schweizerin mit dem Ausländer, der nicht EU-/EFTA-Bürger ist. Allein auf Verdacht, also ohne jeglichen Beweis, kann der Standesbeamte die Heirat verweigern. Eine Regelung, die mit der Idee eines Rechtsstaats eigentlich nicht vereinbar ist, da sie der Beamtenwillkür Tür und Tor öffnet.

Während für EU-Bürger Hürden abgebaut werden und sie den Schweizern mit den neuen Bilateralen in manchen Belangen weitgehend gleichgestellt werden, baut man für Menschen von ausserhalb EU/EFTA die Mauern immer höher. Dabei wird nicht unterschieden, ob jemand aus einem europäischen Nicht-EU-Land, aus Amerika oder Schwarzafrika kommt. Dies führt zur paradoxen Situation, dass z.B. Bürger Kroatiens mit dem neuen Gesetz massiv schlechter gestellt würden als heute, jedoch in einigen wenigen Jahren, wenn Kroatien der EU beitritt, die Hürden fast vollständig fallen gelassen würden. Dabei ist die Schweiz ja noch nicht mal EU-Mitglied und hat somit auf den Zeitpunkt des Beitritts Kroatiens oder anderer Länder keinerlei Einfluss.

Die Vorstellung, dass sich Zuwanderung über ein nationales Gesetz regeln lässt, ist meiner Meinung nach Wunschdenken einiger konservativer Politiker, aber fernab der Realität. Dies sieht man auch am Beispiel Spaniens, das heuer wie nie zuvor von afrikanischen Flüchtlingen überschwemmt wird. Die meisten kommen aus wirtschaftlichen Gründen und werden daher nicht als „echte Flüchtlinge“ anerkannt, müssten also wieder zurück. Trotzdem bleiben etwa 90 % von ihnen in Spanien! Ohne Papiere tauchen sie unter und schlagen sich mit schlecht bezahlten Jobs durchs Leben.

Der Gesetzgeber hat sich weitere sinnlose Hürden ausgedacht, um Ausländer fernzuhalten, die fremdenfeindliche Haltung des Verfassers ist an verschiedenen Punkten nicht zu übersehen. So wird von Ausländern künftig verlangt, dass sie eine Landessprache sprechen; dies soll der besseren Integration dienen. Ich habe in Genf einige Menschen kennen gelernt, die z.B. am CERN arbeiten und nur Englisch sprechen, aber dort einiges besser integriert sind als mancher Deutschschweizer, der schlecht Französisch spricht.

Während ich beim Asylgesetz den Wunsch zur Verschärfung aufgrund des Missbrauchs, der ja unbestrittenerweise teilweise existiert, noch halbwegs verstehen kann, leuchtet mir beim Ausländergesetz überhaupt nicht ein, was verbessert werden soll, wenn sich von ausserhalb EU/EFTA nur noch so genannt Hochqualifizierte niederlassen dürfen. Für etliche Arbeiten finden sich heute kaum mehr Schweizer, die bereit sind, diese Arbeiten auszuführen. Möglich also, dass sich schon in wenigen Jahren die heutigen Befürworter dieses Gesetzes über schmutzige Toiletten auf den Bahnhöfen beschweren – weil sich niemand mehr finden wird, der zu dieser Arbeit bereit ist.

Wer’s nicht schafft, die Kinder innerhalb von fünf Jahren nachzuziehen, hat sich die Chance darauf definitiv vertan. Eine weitere starre und völlig überflüssige Regelung, die den unterschiedlichen Situationen und Ansprüchen dieser Menschen in keinster Weise Rechnung trägt. Wird die Ehe innerhalb der ersten drei Jahre geschieden, verliert die ausländische Person ihre Aufenthaltsbewilligung. Ob die Trennung erfolgt ist, weil der Schweizer Mann seine ausländische Frau geschlagen hat, interessiert dabei unseren Gesetzgeber nicht.

Schaade: die Chance ein modernes, zukunftsgerichtetes Ausländergesetz einzuführen wurde verpasst. Nutzen Sie Ihre Chance und opfern sie nicht Ihre persönlichen Freiheiten für ein ausländerfeindliches und diskriminierendes Gesetz!

Quellen und Links zum Thema:
Elf Gründe für zwei Nein (WOZ)
Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 24. September 2006 (Bundeskanzlei)

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Diese Seite enthält einen einzelnen am 20.09.06 22:18 erschienenen Blogeintrag.

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