Der in der Schweiz durch die Baugesuche zweier Minarette (in Langenthal BE und Wangen bei Olten SO) ausgelöste und durch gewisse Parteien gezielt aufgebauschte so genannte Minarettstreit ist ein typischer Stellvertreterkrieg, in dem sich nun sämtliche Ängste, Vorbehalte und Vorurteile der lokalen Bevölkerung gegenüber einer fremden Kultur entladen. Haben wir durch den Bau tatsächlich um den Verlust unserer christlich-abendländischen Kultur zu fürchten? Welches Vorgehen gebieten unsere eigenen Werte und Traditionen im aktuellen Streit?
Wenn wir bei jedem kleinen Aufschrei in der Bevölkerung gleich eine Volksabstimmung fordern, zeigen wir dadurch jedoch nicht, dass wir die Ängste der Bürger besonders ernst nehmen, sondern eher, dass wir unsere eigene vom Volk genehmigte Verfassung nicht ernst nehmen und dass wir bezüglich der darin festgehaltenen Werten völlig verunsichert sind – mal ganz abgesehen davon, dass diese Vorgehensweise unverhältnismässig teuer wäre. Die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen kann doch nicht heissen, sich entgegen den Grundsätzen der eigenen Verfassung zu verhalten, sondern muss doch heissen, im Rahmen der Verfassung die unterschiedlichen Anliegen aller Betroffenen in Einklang zu bringen.
Wenn wir schon Angst vor einer zunehmenden Islamisierung haben – wobei diese SVP-Behauptung durch keine Statistik erhärtet werden kann –, sollten wir doch beweisen, dass auch wir starke kulturelle Werte haben und fremden Kulturen basierend auf unserer Verfassung klare Leitplanken setzen. Das heisst im Fall der Minarette, dass sie gebaut werden dürfen, solange sie der lokalen Bauordnung entsprechen. Dagegen muss den muslimischen Gemeinschaften auch klar sein, dass unsere Toleranz dort ein Ende hat, wo es darum geht, dass ein Muezzin fünfmal täglich vom Minarett aus die Gläubigen zum Gebet aufruft oder wenn sie die Schari'a, das muslimische Gesetzbuch, das mit der Demokratie absolut unvereinbar ist, einführen wollen.
In den beiden aktuellen Fällen muss den verängstigten Bürgern eben erklärt werden, dass ein Minarettverbot die Muslime nur noch mehr an den Rand der Gesellschaft drängen würde und dass an den Rand gedrängte Gruppen viel eher zu Gewalt und Konfrontation neigen, als integrierte und akzeptierte Gruppen. Es gibt unter den Muslimen Extremisten, die nur darauf warten, dass wir ihnen beweisen, dass wir selbst nicht so tolerant sind, wie wir es von ihnen fordern und sie nicht als Bestandteil der Gesellschaft akzeptieren, um dies als Vorwand für eine weitere Extremisierung ihrer Anhänger auszunutzen – das kann unmöglich in unserem Interesse liegen.
Ich würde nicht einmal so weit gehen zu fordern, dass sich die hiesige Bevölkerung stärker mit dem Islam auseinandersetzen sollte, wie dies einige muslimische Kreise fordern – obschon dies vielleicht helfen würde, Ängste und Vorurteile abzubauen. Für den aktuellen Konflikt würde es indes schon genügen, dass wir uns unserer eigenen Werte bewusst werden und Religionsfreiheit und Gleichbehandlung verschiedener Religionsgruppen walten lassen, so lange sich diese Gruppen im Rahmen unserer Gesetze bewegen. Wir können doch nicht manche arabische Staaten als intolerant und unfreiheitlich kritisieren, wenn wir selbst nicht Toleranz und echte Religionsfreiheit vorleben.
Der Justizminister, Mitglied der Partei, die nun lautstark ein Minarettverbot fordert, hat unlängst anlässlich der Kritik an seinen jüngsten Äusserungen in der Türkei gemeint, er wolle nicht eine Politik des Fingerzeigs, sondern des guten Vorbilds betreiben. Dies kann doch in diesem Falle nur heissen, dass wir der arabischen Welt am Beispiel Schweiz zeigen, dass Toleranz und friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen eben möglich ist. Nur wenn wir dies beweisen können, haben die heute zum Teil noch sehr schwachen Demokratisierungstendenzen in gewissen arabischen Ländern eine Chance.
Die arabische Welt ist – genauso wenig wie die christlich-abendländische – nicht homogen. Die verschiedenen arabischen Staaten beschreiten im Umgang mit Religion und Kultur unterschiedliche Wege. Währenddem Tunesien das Kopftuchtragen im öffentlichen Raum völlig verbietet, herrscht in Saudiarabien ein Kopftuchzwang auch für Ausländerinnen. Wir brauchen uns weder dem einen noch dem anderen Extrem anzuschliessen; unsere liberale Tradition gebietet es auch hier, einen pragmatischen Mittelweg zu beschreiten, der die Eigenverantwortung der Bürger ins Zentrum stellt. Jede Frau kann also selbst entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen will oder nicht. Auch hier wiederum so lange, wie daraus keine Konflikte mit anderen Gesetzen oder eine ungerechte Übervorteilung – wie etwa bei einer generellen Dispensation vom Schwimmunterricht – resultieren.
Angst zu haben vor dem Unbekannten liegt in der Natur des Menschen. Verschiedene Menschen haben indes verschiedene Ängste. Persönlich beängstigt mich viel mehr, von geistig derart minderbemittelten und kulturell derart inkompetenten und unsensiblen Leuten regiert zu werden, die ein Minarett mit einer gegen den Himmel gerichteten Rakete vergleichen (Zitat Helena Morgenthaler, SVP BE), als die pure Anwesenheit eines solchen Minaretts mich zu verängstigen mag. Deshalb fordere ich aber auch nicht gleich ein Verbot dieser Partei, denn ich bin überzeugt, die besseren Argumente zu haben und diese werden letztlich obsiegen. Begegnen wir doch der aktuellen Diskussion furchtlos und im Bewusstsein unserer eigenen kulturellen Werte und seien wir so den Ländern des arabischen Raumes, die ein Demokratiedefizit kennen, ein Vorbild, anstatt selbst zu so totalitären Methoden zu greifen, wie wir sie bei ihnen kritisieren und unnötigerweise derart Öl ins Feuer zu giessen, wie dies die SVP tut.
Quellen und Links zum Thema:
Kein Erlaubnis für ein Minarett (NZZ)
Keine Probleme trotz Minarett (NZZ)
Kommentar: Kein baurechtliches Problem (NZZ)
Viele Religionen schaden der Gesellschaft nicht (NZZ)
Kurt Koch: «Ich würde den Muslimen zugestehen, ein Minarett zu haben» (NZZ)
Minarett (Wikipedia)
Muezzin (Wikipedia)
Schari'a (Wikipedia)
Kommentare (1)
Interessant, mehr als 3 Jahre nach diesem Artikel, spricht nun auch die NZZ von einem "stellvertretenden Kulturkampf". Die StoryBOX war wieder einmal ihrer Zeit voraus... ;-)
http://www.nzz.ch/nachrichten/schweiz/breite_diskussion_um_einen_schlanken_bau_1.4055545.html
Von Manuel Arrocho | 24.11.09 20:31
Geschrieben am 24.11.09 20:31