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Wer hat Angst vor der EU?

Die rechtsnationalistischen Parteien reduzieren die Abstimmung vom 26. November betreffend das „Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas“ auf die Frage „Wer hat Angst vor der EU?“ Solche Angstmache aus dieser politischen Ecke ist nicht neu, doch steht zunehmend viel auf dem Spiel für die Schweiz. Zu viel, um solche Spiele zu treiben, denn um die EU geht es bei der Gesetzesvorlage eigentlich nur ganz am Rande.


Worüber die Bürger zu entscheiden haben, ist der Rahmen der künftigen Entwicklungshilfe, die unser Land für Staaten Osteuropas leistet. Diese Entwicklungshilfe hat in der Schweiz eine lange Tradition und ist im Ausland hoch angesehen. Manche Projekte, die unter Schweizer Führung zustande kamen – beispielsweise beim Wiederaufbau in den Staaten Ex-Jugoslawiens – galten anderen Staaten gar als Modell und Messlatte. Diese Entwicklungshilfe oder Entwicklungszusammenarbeit, wie sie heute eher genannt wird, da die Projekte in Zusammenarbeit mit den Regierungen der entsprechenden Länder durchgeführt werden und nicht blosse Hilfezahlungen darstellen, sondern auch Schweizer Firmen Aufträge generieren, diese Entwicklungszusammenarbeit also, ist im ureigenen Interesse der Schweiz. Gerade im Falle von Ex-Jugoslawien half sie z.B. mit, die Perspektivelosigkeit der zum Teil kriegstraumatisierten Menschen zu verringern und somit den Migrationsdruck – auch in die Schweiz – zu mindern. Es ist daher erstaunlich, dass gerade die Parteien rechts aussen, die immer wieder gerne an die Angst vor Überfremdung appellieren, nun gegen diese Osthilfe anlaufen, die gerade diesen Migrationsdruck abbauen helfen würde. Im Rahmen dieser Hilfsleistungen gar von einem „Geschenk an die EU“ zu reden, ist freilich pure Polemik und hat mit der Realität nichts zu tun.

Die Rechte ist denn auch gespalten, wie lange nicht mehr. Einige SVP-Kantonalparteien haben gar die Ja-Parole beschlossen, SVP-Präsident Maurer argumentierte gestern in der „Arena“ des Schweizer Fernsehens, seine Partei wäre nicht gegen die Milliardenzahlung als solche, sondern nur gegen die Art der Finanzierung, während seine Gefolgsleute aber laufend gegen die Zahlung selbst argumentierten.

Ein weiteres Scheinargument der Gegner: Das Volk würde ausgeschaltet, hätte zu weiteren Zahlungen nichts mehr zu sagen, was undemokratisch sei. Tatsächlich hätte über weitere Zahlungen, die in Rahmen dieses Gesetzes geleistet würden, das Parlament zu befinden, denn die Schweiz kennt kein Finanzreferendum. Was daran undemokratisch ist, leuchtet jedoch nicht ein, da das Parlament ja demokratisch gewählt ist. In der Argumentation der SVP ist seit einiger Zeit jedoch alles undemokratisch, was nicht an der Urne, also vom Volk selbst entschieden wird. Wäre dies wirklich das Hauptbedenken der Gegner, müssten sie, statt gegen das Osthilfegesetz anzutreten, eher eine Initiative für ein Finanzreferendum einreichen. Das dies bei der aktuellen Politikverdrossenheit in unserem Land kaum Sinn machen würde – die Stimmbeteiligungen hierzulande gehören zu den tiefsten weltweit –, wissen sie wohl selbst und lassen es daher bleiben.

Die Tatsache, dass es einigen populistisch agierenden Politikern durch gezielte Streuung von Falschinformationen immer wieder gelingt, vor Abstimmungen für Verunsicherung im Stimmvolk zu sorgen, liefert uns eigentlich eher Argumente dafür, wieder vermehrt die repräsentativen Elemente unserer Demokratie zu stärken. Mit undemokratisch hat dies nichts zu tun; im Schweizer System gibt’s seit jeher eine Balance zwischen direkten und repräsentativen Elementen, die für ein gutes Funktionieren in einem vernünftigen Gleichgewicht gehalten werden sollten.

Die wahren Gründe der Gegner liegen denn auch – wie die Unstimmigkeit ihrer Argumente schon vermuten lässt – völlig woanders. Es ist nichts anderes als ein weiterer Versuch, den mehrmals vom Volk bestätigten bilateralen Weg der Schweiz mit der EU zu torpedieren. Zwar besteht juristisch kein direkter Zusammenhang zwischen der Schweizer Osthilfe und den bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Mit diesem Argument versuchen die Gegner denn auch, Bedenken in diese Richtung zu zerstreuen. Dass eine Kürzung der traditionellen Osthilfe der Schweiz das Klima zu den neuen Mitgliedsländern der EU jedoch massiv vergiften würde, ist völlig klar. Länder wie Polen oder Tschechien hätten danach kaum ein Interesse daran, die Verträge von Schengen und Dublin, an denen die Schweiz grosses Interesse und grossen Nutzen hat, rasch zu ratifizieren, und so könnte sich deren Inkrafttreten denn, obschon vom Schweizer Volk längst angenommen, noch lange verzögern.

So steht letztlich am 26. November der ganze bilaterale Weg auf dem Spiel. EU-Befürworter können der Sache jedoch gelassen entgegenblicken, denn die einzige Alternative zum bilateralen Weg heisst Beitritt und je mehr dieser Bilateralismus von rechts aussen unter Beschuss kommt, desto eher wird er sein Ende erreichen, und damit stünde unser Land genau da, wo es diese Ecke nicht gern sehen würde: mitten in der EU.

Quellen und Links zum Thema:
Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 26. November 2006 (Schweizerische Bundeskanzlei)
Amstimmungsarena zum Osthilfegesetz (Schweizer Fernsehen SF)
DEZA – Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit
Schweizerische Europapolitik (Integrationsbüro EDA/EVD)
Bilaterale Verträge zwischen der Schweiz und der EU (Wikipedia)

Kommentare (5)

Pirat:

Unter Umständen wäre ein Artikel mit deinen Argumenten für die EU mal an der Zeit? So wie ich das bis anhin immer interpretiert habe, bist du ein Starker EU-Befürworter. Wo liegen die Gründe dafür?

Gruss....

Pirat, das hast du schon richtig interpretiert. :-) Die Frage nach dem „Warum?“ ist jedoch sehr komplex, da extrem vielschichtig. Du kannst aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen für die EU sein, in beiden Fällen kannst du ideologisch oder pragmatisch (aufgrund der eigenen Interessen) motiviert sein. So sind denn auch meine persönlichen Gründe, weshalb ich dafür bin, sehr vielschichtig. Ein Artikel mit all meinen Argumenten für die EU würde daher sehr lang, weshalb ich bisher darauf verzichtet habe und mich darauf beschränkt habe, bei aktuellen Fragen, die im Zusammenhang mit der EU stehen, auf Nachteile, die uns aus unserer Nichtmitgliedschaft heraus erwachsen, hinzuweisen. Dein Wunsch ist mir jedoch Befehl und darum wird der nächste StoryBOX-Artikel ein Plädoyer für einen EU-Beitritt der Schweiz sein, der meine wichtigsten Argumente beinhalten wird. Ich bin schon sehr gespannt auf deinen Kommentar und auf den, anderer Leser meines Blogs! :-)

Nadja:

Dass mit einem Nein zum Osthilfegesetz der bilaterale Weg auf dem Spiel steht, da stimme ich Dir voll und ganz zu. Aber als einzige Alternative den Beitritt zur EU zu sehen, scheint mir doch etwas gewagt. Für uns wäre dies in diesem Falle zweifellos der einzige um der Isolation zu entgehen, aber wäre es nach einem "Nein" auch noch der Weg der EU?

Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass die EU nach einem „Nein“ der Schweiz zum Osthilfegesetz grad so weit gehen würde, sie nicht mehr als Beitrittskandidatin zu akzeptieren. Immerhin würde die Schweiz als EU-Mitglied etwa den 20-fachen Betrag dieser Osthilfe in Form von Mitgliederbeiträgen an die EU abliefern.

Ich möchte die EU aufs dringlichste davor warnen die Schweiz je einzuladen Mitglied des vereinigten Europas werden zu lassen. Es kann nicht im Sinne der befriedeten europäischen Ländern sein die in sich implodierende Schweiz einzugliedern- Die Gefahr im Strudel des Niedergangs mitgerissen zu werden, ist einfach zu gross. Die schweizerische Gesellschaft definiert sich nur noch mittels Ausgrenzung wie Ausländer, Welsche, Alte, Junge, Schwule, Landwirte, Jugos, Linke, Lehrer, Tessiner, Abzocker,Innerschweizer, Ewiggestrige, Zürcher, Negermusikhörer, Berner, Rentenklauer, SVP und Kantone. Man zelebriert das St. Floriansprinzip bis zum Exzess, man profitiert vom Bund und der Nationalbank und möchte am liebsten beides abschaffen. Ganze Talschaften benehmen sich anarchistisch und gleichzeitig verfluchen sie die Anarchisten. Man verdammt die Intellektuellen und verweigert jede Bildung. Wie Lemminge zieht man hinter einem einzigen Politiker hinterher oder man verbeisst sich in ihm, statt selber zu denken und zu handeln. Man kann sich nicht wünschen, dass sich Europa mit diesem Virus infiziert.

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