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Bildung: in der Schweiz bald nur noch für Reiche?

In manchen Bereichen wird unser Land immer unsozialer. Krassestes Beispiel: die Bildung. Schlechte Bildung hat inzwischen das Alter als Armutsrisiko Nummer eins abgelöst und alle Parteien beschwören denn auch die Bildung als wichtigster Rohstoff unseres Landes, doch in der Tat hat man’s als Student nicht reicher Eltern in der Schweiz immer schwerer. Die Gründe und einige Ideen, wie man’s besser machen könnte.


Die grundlegendste Reform, die das Schweizer Bildungswesen in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, war die sogenannte „Bologna-Reform“, die sich an manchen Schweizer Universitäten noch immer in der Umsetzungsphase befindet. „Bologna“ hat vor allem zum Ziel, die europäische Hochschullandschaft zu vereinheitlichen, um die zunehmende Mobilität der Studenten und die europaweite Anerkennung der Abschlüsse zu gewährleisten. Die Reform bringt auch ein neues Leistungspunktesystem mit sich; jede Vorlesung und jedes Seminar entspricht einer bestimmten Anzahl ECTS-Punkte (European Credit Transfer System). Für den Abschluss, der nach „Bologna“ neu Master (statt wie bisher Lizenziat) heisst, braucht es 300 Credits, bei 180 Credits gbit’s ein erstes Diplom, den Bachelor.

Die Reform wurde in der Schweiz sozusagen über die Hintertür eingeführt: ohne Volksabstimmung oder öffentliche Debatte. Dies wohl auch weil die Reform im Grundsatz nicht sehr umstritten ist; die Notwendigkeit bei dieser gesamteuropäischen Entwicklung nicht abseits zu stehen ist offensichtlich. Dennoch, die Reform stellt die Hochschul-Landschaft Schweiz derart auf den Kopf, dass es angebracht wäre, über gewisse flankierende Massnahmen nachzudenken. So bringt „Bologna“ auch eine Studienzeitbeschränkung mit sich; die Studenten sind in der Einteilung ihrer Stundenpläne nicht mehr so frei; wer das Diplom nicht nach einer vorgegebener Zeit erreicht, fliegt raus. Halbtags studieren und halbtags arbeiten, wie das vorher viele Studenten gemacht haben, die sich ihr Studium selbst finanzieren mussten, ist nun so gut wie unmöglich. Zeit fürs Jobben bleibt allenfalls noch in den Ferien.

Dazu kommt, dass Stipendien und zinslose staatliche Darlehen je nach Kanton so gut wie abgeschafft wurden. Was z.B. der Kanton Bern betreibt, ist eine reine Farce – das Stipendienwesen ganz abzuschaffen wäre ehrlicher und konsequenter gewesen. So wie’s jetzt ist, bringt’s jedenfalls nichts und setzt erst noch falsche Anreize. Ich bin selbst Berner, habe null Einkommen und null Vermögen und bekomme weder Stipendium noch Darlehen. Grund: für die Vergabekriterien wird einzig und allein die finanzielle Situation der Eltern herangezogen. Dass ich schon über 25 bin, längstens eine abgeschlossene Erstausbildung habe, die Eltern bereits pensioniert sind und deren „Vermögen“ fast ausschliesslich in einem kleinen Reiheneinfamilienhaus gebunden ist, wird dabei nicht berücksichtigt. Dafür wird einem vorgerechnet, wie man gemäss Eigenmietwert des Hauses (der Eltern, wohlverstanden!) auf ein – völlig fiktives – astronomische Einkommen kommt. So habe ich gemäss Rechnung der Bildungsdirektion dann offiziell ein jährliches Einkommen, welches höher ist, als mein ganzes Vermögen zu meinen besten Zeiten – das ist die reine Verhöhnung des Bürgers, mal ganz abgesehen davon, dass es Wohneigentum bestraft und Anreiz zur Verschuldung gibt. Das hierzulande oft als unsozial verschriene amerikanische Modell (hohe Studiengebühren, aber jeder Student bekommt ein zinsloses Darlehen vom Staat) – halte ich inzwischen für sozialer, als das unsere.

Überdies gibt es einige europäische Stipendien, an die man als Student mit dem roten Pass natürlich auch nicht herankommt.

Auch in anderen Bereichen werden Schweizer Studenten mehr geschröpft, als im Ausland: Die Schweiz ist das einzige mir bekannte Land Europas, bei dem Studenten die gleich hohen Krankenkassenprämien bezahlen müssen, wie Arbeitstätige. Beim Öffentlichen Verkehr wird ebenfalls nicht unterschieden, ob man Student oder Lohnempfänger ist. Es gibt zwar gewisse Rabatte für unter 25-jährige, ist man aber älter als 25 und immer noch Student, bezahlt man den vollen Preis. In Finnland dagegen berechtigt ein Studentenausweis automatisch zum Bezug eines Halbpreistickets. So auch bei allen Mobilfunkanbietern der Schweiz: sie brüsten sich zwar zum Teil mit Studentenangeboten, im Kleingedruckten sind aber auch diese allesamt auf unter 25-Jährige beschränkt.

All diese aufgezählten Erschwernisse werden politisch von keiner einzigen Partei thematisiert (bis auf die Einheitskrankenkassen-Initiative, die bestimmt auch für Studenten eine Erleichterung gebracht hätte). Mehr noch, manche SP-Exponenten sehen noch nicht einmal Handlungsbedarf. So meinte Christine Goll, Nationalrätin SP/ZH, letzte Woche in der Sendung „Club“ des Schweizer Fernsehens: „Wir müssen nicht die Bildung gegen die soziale Sicherheit ausspielen.“ – Nein, Frau Goll, müssen wir nicht, aber in einer Zeit, in der Bildung zu einem Privileg für Reiche zu verkommen droht, sollte die SP Lösungen zu den aktuellen Problemen im Bildungsbereich Lösungsvorschläge haben. Und Franco Cavalli, Nationalrat SP/TI meinte in derselben Sendung selbstsicher und lapidar: „Für die Bildung haben wir genug“.

Die SP scheint lieber weiterhin auf ihr Lieblingsthema Rentenalter 62 setzen zu wollen. Dies in einer Zeit, wo wir alle immer länger leben und länger gesund bleiben und ausserdem wissen, dass die AHV in den kommenden Jahren wegen der alternden Bevölkerung ohnehin in einen finanziellen Engpass rutschen wird. – Ob sich mit dieser Strategie die kommenden Wahlen werden gewinnen lassen?

Links zum Thema
Bologna-Erklärung (Wikipedia)
„Club“ vom 01.05.2007 (SF)

Kommentare (6)

Sven:

Gut hast du mal deine Gedanken zu diesem Thema - die ich schon oft gehört habe - aufs "Papier" gebracht.
Du darfst nicht vergessen, dass du mit deinem Alter nicht der durchschnittliche Student bist. Meiner Meinung nach ist es nicht die Aufgabe des Staates, absolute Chancengleichheit für eine Zweitausbildung zu gewährleisten, schliesslich könntest du mit deiner Erstausbildung dein Brot verdienen.
Dass kein Stipendium gesprochen wird rein aus der Tatsache, dass die Eltern ein Haus besitzen, ganz ohne die anderen Fakten zu betrachten, ist natürlich unsinnig und ärgerlich. So oder so, die Stipendienlandschaft sollte besser vereinheitlich werden, denn es gibt grosse Unterschiede von Kanton zu Kanton.
Zu den Krankenkassenprämien: Im Kanton Zürich gibt es Prämienverbilligungen vom Kanton, abhänging vom Einkommen. Also muss ein Student (und andere mit niedrigem Einkommen) nicht für die volle Prämie aufkommen.

Nur zur Präzisierung: der Grund, warum ich keine Stipendien bekomme, ist ja nicht, dass es um eine Zweitausbildung geht (es geht schliesslich um eine höhere Ausbildung). Ich habe das mit der Zweitausbildung nur angeführt, weil ich es beim Vorhandensein einer Erstausbildung umso erstaunlicher finde, dass immer noch die Eltern ausschlaggebend sind (die mir ja schon die Erstausbildung finanziert haben, womit sie meines Erachtens ihre Schuldigkeit getan haben). Der Staat bezahlt ja auch nicht Stipendien, damit ich mein Brot verdienen kann, selbstverständlich könnte ich das mit meiner Erstausbildung, aber weil er weiss, dass es ihm letztlich zugute kommt, wenn seine Bürger gebildet sind. Ausserdem sollte der Staat für die Bürger da sein (nicht umgekehrt), da darf es meines Erachtens auch zukünftig keine Rolle spielen, dass ich schon eine Erstausbildung habe, mindestens dann nicht, wenn es sich - wie hier - um eine höhere Ausbildung handelt.

Dass es vereinheitlicht werden sollte, bin ich mit dir einverstanden, aber auch eine Vereinheitlichung nützt nichts, solange derart gespart wird, bzw. die Vergabekriterien derart stumpfsinnig sind. Die Jungparteien der Schweiz haben mal einen Vorstoss zur Vereinheitlichung unternommen:
Eine halbe Milliarde für Stipendien (jungfreisinnige schweiz jfs)
Harmonisierung mit Hindernissen (NZZ)

Krankenkassenprämienverbilligung bekomm' ich schon auch, dennoch bleibt die Krankenkasse (trotz höchster Franchise) nach Wohnung und Essen mein drittgrösster Ausgabeposten. Und wegen der hohen Franchise muss ich alles selbst bezahlen, wenn mal 'was ist. In den meisten anderen europäischen Ländern müsste ich als nicht verdienender Student nichts bezahlen.

Wilu:

a jo, u was mr no grad i sinn isch cho, we de scho vo (nid exischtierende) schtudibillets im ÖV schrybsch: räntner zale dört jo ir regu nume d heufti - obwou dr durchschnittsräntner finanzieu dütlech besser dörfti da schta aus dr durchschnittsschtudi.
item. hätti äuä söue uf hochdütsch schrybe. isch jo seriöser, hei ämu die vom radio verzeut u schnure bi de mittagsnachrichte drum nume no uf hochdütsch. e ja, vilech de ds nächschte mau ;-)

fes:

ich bin einverstanden: da liegt einiges im Argen. V.a. im Stipendien & Darlehenswesen. Duch die riesige Vielfalt an Regelungen blick ich da aber nicht so durch und enthalte mich mal der Kommentare. Diese habe ich aber zu anderen Themen:

- Studienzeitbeschränkung: Diese ist an sich nur schlüssig, da ein Studium nach Bologna als Vollzeitstudium gedacht ist. Wenn man bedenkt, dass ein Credit 25-30 Stunden Arbeit repräsentieren soll ist Arbeiten nebenbei auch gar nicht mehr möglich. Das dies nicht der Realität entspricht ist ein anderes Thema. Also in sich schlüssig, aber ein bischen realitätsfern.

- Ich bin mit Sven einverstanden , dass es nicht die Aufgabe des Staates ist jegliche Weiterbildungswünsche seiner Bürger zu finanzieren und ich finde die Aussage: "Ausserdem sollte der Staat für die Bürger da sein (nicht umgekehrt)..." (Fisch, 2007) eher problematisch. Weil damit der Staat als irgendeine abstrakte Entität dargestellt und eine unidirektionalität suggeriert wird. Meiner Meinungs SIND die Bürger der Staat und dementsprechend auch die Bürger schuld wenn das Stipendienwesen unbefriedigend ist.

- das die vom Manuel angesprochenen Probleme bei den Parteien wenig zur Sprache kommen ist nur natürlich, da über 25-jährige Studenten nicht die Regel sind und auch immer weniger werden (wegen Bologna)

- und das mit dem Vermögen der Eltern betrifft ja alle Studis, nicht nur die über 25-jährigen (soviel ich weiss)

gut, im Moment ist das alles ;) nur noch: Rock die Prüfungen!!!

simon:

Die Wahrscheinlichkeit von Studenten, die gleich nach der Matur ihre Ausbildung beginnen, ist wahrscheinlich deutlich höher dass sie 1.ihre Ausbildung abzubrechen 2.das Studienfach oft wechseln und 3. nach Abschluss noch etwas Anderes zu studieren, weil sie ohne jede Berufserfahrung, persönliche Orientierung und Zielen entschieden haben. (Geographie fand ich in der Kanti/Gymi lustig, also studiere ich das) Die Wirtschaft hat so auch nicht sonderlich viel Interesse an 21-jährigen Soziologieabsolventen ohne jede Berufserfahrung.
Die Unvereinbarkeit von Beruf und Studium müsste dann konsequenterweise mit einem funktionierenden Stipendiensystem ausgeglichen werden. Dass man je nach Kanton/Region viel bis gar nichts kriegt ist ärgerlich und dumm. Deshalb: 1. Vereinheitlichung der Stipendiensysteme 2. Förderung von besonders wirtschaftlich gefragten Studiengängen, sowie Studiengängen mit höherem Aufwand(Bsp: deutlich höhere Stipendien für ETH-Studenten, aber auch nur begrenzt Stipendien für Japanologiestudenten die vorher noch 2-3 andere Bachelor gesammelt haben)
3. Festlegung eines Budgets nach Unistädten (Bsp: ZH/GE teuer, FR/LU günstiger)

Diese leeren Wahlversprechen werde ich allerdings leider aufgrund latenter Faultheit kaum umsetzen wenn ihr mich zum Bundespräsidentenkanzler der Schweiz wählt..
Wählt trotzdem Simon, stärkt die Lethargie !

Ab 1.01.2008 erhöht die SBB einmal mehr die Preise für die General-Abonnemente (GA). Gleichzeitig führen sie aber endlich auch ein GA für Studenten ein zum Preis von 2'250.- statt 3'100.-
SBB: Sortiment - GA für Einzelpersonen
Allerdings ist auch dieses Angebot unverständlicherweise auf unter 30-Jährige beschränkt; bei meinem Master-Abschluss werde ich ungefähr 32 sein... Naja, immerhin ein kleiner Vortschritt ist es.

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Diese Seite enthält einen einzelnen am 13.05.07 21:40 erschienenen Blogeintrag.

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