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Das Experiment Blocher ist gescheitert

Die Einbindung Blochers in das Konkordanzsystem ist nicht geglückt, er ist auch als Regierungsmitglied Parteiführer und Oppositionspolitiker geblieben. Das Parlament goutierte das am Mittwoch nicht. Auch nicht – oder erst recht nicht – unter der erneuten Androhung der SVP bei einer Nichtwahl Blochers in die Opposition zu gehen. Ein wichtiger Entscheid für unser Land.


Die Bundesratswahl ist weitgehend so verlaufen, wie am Montag in diesem Blog skizziert, einfach mit einer anderen Figur in der Hauptrolle. Aber wie Rita Fuhrer ist auch Frau Widmer-Schlumpf eine Politikerin mit klarem SVP-Profil. Die Argumentation des Generalsekretärs Gregor Rutz, die SVP sei „von der Regierung ausgeschlossen worden“ hat somit nichts mit der Realität zu tun.

Am Mittwoch wurde eine Regierung streng nach den Regeln der Konkordanz gebildet: die vier grössten Parteien sind gemäss ihrer Wählerstärke vertreten. Die SVP wurde also nicht in die Opposition geschickt, sie hat sich aus freien Stücken dazu entschlossen, in die Opposition zu gehen. Von richtiger Opposition kann indes gar nicht gesprochen werden, denn die SVP ist nach wie vor mit zwei Vertretern in der Regierung präsent. Sie ist ausserdem jederzeit eingeladen, ihr trotziges Verhalten abzustreifen und endlich volle Regierungsverantwortung zu übernehmen – ohne gleichzeitige Opposition.

Die Abwahl Blochers war keine Abrechnung und kein Versuch, die SVP aus der Regierung zu drängen – sonst wäre an seiner Stelle keine SVP-Politikerin gewählt worden. Die Gründe für die Abwahl sind in der Figur Blocher selbst zu suchen. Er hat mit seinem polarisierenden Stil das Land gespalten, er hat die Institutionen verhöhnt und mit seiner ständigen Kritik an den Gerichten die Gewaltentrennung missachtet. Um ihn wurde ein Personenkult betrieben, wie ihn die Schweiz seit Alfred Escher nicht mehr erlebt hat. Die Drohung „Blocher oder Opposition“ erinnerte an Bush’s Aussage „you’re with us or you’re against us“; ein Schwarz-Weiss-Denken, wie es in einem föderalen, auf Ausgleich zwischen den Regionen ausgerichteten System keinen Platz hat. Im Weltbild der SVP ist Frau Widmer-Schlumpf eine „Verräterin“ (Zitat SVP-Fraktionschef Baader), im Parlament sind alle ausser der SVP Linke (Zitat Peter Föhn, Nationalrat SVP/SZ) und der einzige, der das SVP-Gedankengut in den Bundesrat hätte tragen können, wäre Partei-Übervater Blocher. Couchepins Vergleich mit dem Duce scheint nach den letzten Tagen treffender als je zuvor.

Das Parlament sagte nein zu einem Justizminister, der öffentlich unschuldige Bürger denunzierte. Blocher bezeichnete zwei Albaner öffentlich als Mörder, noch bevor ihnen der Prozess gemacht wurde, anschliessend belog er das Parlament, stritt trotz TV-Aufzeichnungen, die diese Verfehlung bewiesen, alles ab. Es sagte nein zu einem Regierungsmitglied, welches sich entgegen der Meinung der Gesamtregierung und entgegen einem Volksbeschluss in der Türkei für die Aufweichung oder gar Abschaffung der Antirassismus-Strafnorm äusserte, damit der Genozid an den Armenien wieder straffrei geleugnet werden könnte.

Unter dem Schock der Blocher-Abwahl haben manche SVP-Exponenten dieser Tage ein merkwürdiges Demokratieverständnis an den Tag gelegt. Obschon zwei ihrer Vertreter – genau dem Wähleranteil entsprechend – in den Bundesrat gewählt wurden sprachen Hans Fehr und Jasmin Hutter davon, dass sich 30 % der Bevölkerung verarscht fühlen müssten. Herr Fehr und Frau Hutter seien daran erinnert, dass a) 29 % der Bevölkerung die SVP gewählt haben ohne zu präzisieren, welchen Flügel sie favorisieren und b) die Bevölkerung gemäss unserer Verfassung das Parlament, nicht aber die Regierung wählt. Im Demokratieverständnis der SVP hingegen werden nicht 100 % linientreue Mitglieder aus Kommissionen ausgeschlossen und verfassungskonform gewählte Bundesräte der eigenen Partei werden als Verräter bezeichnet. Das wahre Gesicht dieses Flügels konnte man dieser Tage in einem Film des Schweizer Fernsehens über die Gebrüder Blocher sehen: Bundesrats-Bruder Gerhard Blocher träumt darin laut davon, dass sein Bruder alle Departemente und das SVP-Parteipräsidium gleichzeitig übernimmt. Die Partei, die sich gerne als Verfechterin der direkten Demokratie und der Volksrechte ausgibt, hegt also diktatorische Einparteien-Regime Träume.

Wie dem auch sei, nun will die SVP also in die Opposition gehen. Dass dies aufgrund der weiter bestehenden Regierungsbeteilung nur teilweise möglich und glaubwürdig sein wird, ist das Eine. Man muss weiter wissen, dass im völlig auf Konkordanz ausgerichteten schweizerischen System die Regierung, also der Bundesrat, vergleichen mit dem Präsidenten in Frankreich oder der Kanzlerin in Deutschland derart schwach ist, dass Opposition nur begrenzt sinnvoll ist. Jedes neue Gesetz muss durch beide Parlamentskammern, wo die SVP nach wie vor die grösste Fraktion stellt, akzeptiert werden. Ausserdem besteht das Instrument des Referendums, von dem die SVP schon als Regierungspartei regen Gebrauch gemacht hat.

Der Oppositionsdrohung der SVP wurde denn auch durch ihr eigenes Verhalten der vergangenen Jahre der Schrecken entzogen. Wir wissen alle bereits, was es heisst, die SVP in der Opposition zu haben, sie hat diese Rolle auch als Regierungspartei nie aufgegeben. Wäre dieser Doppelzüngigkeit nun keinen Riegel geschoben worden, hätte man die SVP geradezu ermutigt, diese verlogene Doppelrolle weiter zu spielen.

Als selbsternannte Oppositionskraft wird die SVP sehr genau aufpassen müssen gegen welche Gesetze und Vorlagen sie genau opponieren will. Entschliesst sie sich gegen grundsätzlich alles, was aus dem Bundeshaus kommt, Opposition zu machen, bedeutet dies, dass sie letztlich auch gegen Vorlagen opponiert, die ihrem eigenen Gedankengut entsprechen und die im Interesse ihrer eigenen Wählerschaft liegen. Tut sie dies, wären ein Verlust an Glaubwürdigkeit und an Wählerstimmen bei den nächsten Wahlen die einzig logischen Folgen. Opponiert sie nur gegen die Vorlagen, die nicht in ihrem Sinn sind, macht sie nichts anderes, als sie schon als Regierungspartei getan hat.

Für mich ist daher klar, dass die SVP in der so genannten Opposition nur verlieren kann. Nicht umsonst drängten in der Geschichte immer alle neu aufkommenden Parteien in der Schweiz darauf, möglichst rasch in die Regierung integriert zu werden. Es geht nicht, ohne von der Verpolitisierung der Exekutive wieder etwas Abstand zu nehmen und konkordanzfähige Vertreter in den Bundesrat zu wählen, die im Bundesrat in erster Linie als Regierungsmitglieder und nicht als stramme Parteisoldaten agieren.

Die Schweiz ist nur in Konkordanz zu regieren; ein Wechsel zu einem Regierungs-/Oppositions-Modell, wie es im Ausland üblich ist, wäre nur mit einer gleichzeitigen Beschneidung der Volksrechte (Initiative, Referendum) möglich. Kippt nämlich die Regierung zu sehr auf die eine oder andere Seite, z.B. weil eine wesentliche politische Kraft nicht integriert ist, kann diese die Regierung mit einer Flut an Referenden und Initiativen bekämpfen oder gar blockieren. Die Regierung wird also auch ohne offizielle Beteiligung der SVP kaum von ihrem Kurs abrücken, denn ihre Beschlüsse müssen nicht nur vor den anderen Regierungsmitgliedern, sondern auch vor dem Volk jederzeit bestehen können.

Dadurch, dass sich die offizielle SVP freiwillig aus der Regierung verabschiedet, um in der Opposition zu schmollen, gibt sie einen Teil der Gestaltungsmöglichkeit aus der Hand und tut damit dem Land keinen Gefallen und ihrer eigenen Wählerschaft noch viel weniger, denn die Partei erhielt 29 % der Wählerstimmen, um ihre Politik in die Regierung einzubringen, nicht um das Land zu blockieren.

Quellen und Links zum Thema
Dossier Bundesratswahl 2007 (SF)
Vierte Abwahl in der Geschichte des Bundesstaats (NZZ)
Koalition der Unvernunft (NZZ)
Christoph Blocher über die Abwahl (Blocher-TV)

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