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Krieg im Nahen Osten: Alles eine Frage der Macht

Nach einem Monat Krieg im Libanon ist gestern gemäss UNO-Resolution 1701 ein Waffenstillstand in Kraft getreten. Zurück bleiben über 1000 tote Zivilisten (davon etwa 40 Israeli, der Rest Libanesen), über eine Million Flüchtlinge, deren Häuser häufig zerstört wurden und die wohl grösste Ölverschmutzung des Mittelmeeres, ausgelöst durch den vorsätzlichen und willentlichen Beschuss des Tanklagers eines libanesischen Kraftwerks durch die israelische Luftwaffe. Auf den zweiten Blick auch ein fragiler Frieden, verhärtete Fronten und neue Feinde für Israel.


Als offiziellen Kriegsgrund gab Israel die Entführung zweier Soldaten durch die Hisbollah an. Die Hisbollah rechtfertigte diese Entführung mit den zahlreichen in israelischen Gefängnissen einsitzenden Libanesen (einschliesslich Kindern). Wie dem auch sei, es war von Beginn weg offensichtlich, dass Israel die beiden entführten Soldaten als Vorwand benutzt hat, um einen Krieg loszutreten, der die Hisbollah auslöschen oder zumindest entscheidend schwächen sollte. Vielerorts wird sogar gemunkelt, der Krieg sei lange geplant und mit den USA abgesprochen gewesen.

Da noch am vorletzten Kriegstag 250 Hisbollah-Raketen in Israel einschlugen, ist klar, wie kläglich Israel, gemessen an diesen Kriegszielen, gescheitert ist. Das Scheitern ist derart offensichtlich, dass es wohl auch den israelischen Wählern nicht als Erfolg verkauft werden kann, wenngleich sich die Medien in Israel ja nicht durch besondere Objektivität hervor taten (siehe dazu auch: „Der Krieg im Libanon ist ein Krieg der Medien“).

Was Olmert an Charisma und militärischem Verständnis gegenüber seinem Vorgänger Sharon (der ja vormals General in der israelischen Armee war) fehlt, versucht er mit zusätzlicher Härte und Kompromisslosigkeit wettzumachen. Wenngleich die Regierung möglicherweise dereinst innenpolitisch die Zeche für dieses Versagen wird zahlen müssen, so bleibt dem Betrachter von aussen doch eine grosse Frustration ob der zurückbleibenden Schäden, für die der Verursacher nicht aufkommen wird: über 1000 tote libanesische Zivilisten, deren Familien bestimmt nie entschädigt werden. Hunderttausende Obdachlose, um deren Betreuung sich in erster Linie das IKRK kümmern wird und deren zerstörte Häuser, die dann wohl mit internationalen Hilfsgeldern wieder aufgebaut werden. Eine riesige Ölpest im Mittelmeer, deren Bekämpfung sich vorerst der norwegische Staat angenommen hat.

Dies alles ist das Resultat eines Krieges, bei dem das Kräfteverhältnis der beteiligten Parteien völlig asymmetrisch ist. Führt man sich dann noch den offiziellen Kriegsgrund – zwei entführte israelische Soldaten – vor Augen, ist die Unverhältnismässigkeit des israelischen Handels nicht mehr von der Hand zu weisen. In der Schweiz diskutieren wir aber immer noch, ob es mit unserer Neutralität vereinbar war, dass Bundesrätin Calmy-Rey den israelischen Militärschlag als unverhältnismässig bezeichnet hat. Und das Handeln der europäischen Gemeinschaft lässt ebenfalls keine klare Strategie zur effektiven Lösung des Konflikts erkennen. Der einzige politische Akteur mit Gewicht, der eine klare Strategie hat, ist die USA: sie unterstützen (aus innenpolitischen Gründen – in den USA leben viele jüdische Wähler) einseitig das ohnehin allen Nachbarländern übermächtige Israel.

Dabei muss allen klar sein, dass ein Friede unter derart unterschiedlich starken Parteien nicht realistisch ist. Es geht hier nicht um die Frage, auf welcher Seite man steht, sondern um eine aus der Geschichte gelernte Lektion: Die Engländer verstanden es bereits im späten Mittelalter, als sie die Politik der „Balance of Power“ (Mächtegleichgewicht) ins Leben riefen. England war an Frieden auf dem Kontinent interessiert und erkannte, dass ein solcher nur dann zustande kommt, wenn nicht eine Nation übermächtig wird. Ist dies nämlich der Fall, hat diese Nation Interesse an einem Krieg, da die Aussichten, diesen zu gewinnen und somit die Macht weiter zu vergrössern, gut stehen. Unter gleich starken Partnern hingegen wird niemand einen Krieg riskieren, da der Ausgang zu ungewiss und somit das Risiko und die Kosten viel zu hoch wären.

Übertragen auf den Nahen Osten heisst dies: so lange die Kräfte so verteilt sind, dass Israel absolut übermächtig ist, liegt der Schlüssel zum Frieden alleine bei Israel. Israel könnte sich einseitig aus den besetzten Gebieten im West-Jordan-Land zurückziehen, die Besetzung der syrischen Golan-Höhen und des libanesischen Sheba-Gebiets aufgeben und so den Weg für Frieden frei machen. Innenpolitisch ist so etwas jedoch kaum durchsetzbar. Der letzte israelische Premier, der eine solche „Land-für-Frieden“-Politik verfolgt hat, war Jitzhak Rabin. Für seine Politik erhielt er zwar den Friedensnobelpreis, wurde jedoch im November 1995 von einem Extremisten für ebendiese Politik ermordet.

Mit anderen Worten: dass sich Israel von selbst aus den besetzten Gebieten zurückzieht, einen palästinensischen Staat mit Ostjerusalem als Hauptstadt akzeptiert und das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr anerkannt, ist nicht realistisch, schon gar nicht unter der aktuellen Regierung und solange die ultraorthodoxen Siedler eine derart starke Lobby haben. Das einzige, was Israel zum Einlenken bringen und somit zum Frieden führen könnte, wäre internationaler Druck oder ein Erstarken der arabischen Welt. Letzteres ist zurzeit im Gang, was insbesondere am Beispiel Iran (der seinerseits zusammen mit Syrien die Hisbollah unterstützt) deutlich wird.

Ob jedoch ein Frieden, der allenfalls dereinst unter dem Druck wiedererstarkter Gegner zustande kommen könnte, für Israel günstig ist, mag bezweifelt werden. Somit kann ich auch nicht glauben, dass das bewusste Hinauszögern des Friedensprozesses von Seiten Israels und gegen die Zivilbevölkerung gerichtete Kriege in ihrem Interesse liegen, denn unter dieser Politik gedeihen neue Extremisten, die gegen Israel in den Krieg ziehen wollen, nur noch schneller.

Links zum Thema
Krieg ohne Sieger (NZZ)
Libanonkrieg 2006 (Wikipedia)
Balance of Power (Wikipedia)

Kommentare (1)

Nino:

Hi Mänu!
Starker Text! Ich habe noch eine kleine Anmerkung, da ich mich selber seit längerer Zeit mit dem Palästinakonflikt beschäftige... Du schreibst im 6. Absatz, dass Frieden zwischen derart ungleichen Konfliktparteien nicht realistisch sei. Damit bin ich insofern nicht ganz einverstanden, als dass dein Beispiel der Balance of Power gerade das Gegenteil beschreibt: GB als hegemoniale Supermacht befriedet den Kontinent. Sowohl der Realist Morgenthau als auch der Neorealist Waltz sehen das Sicherheitsbestreben denn auch erst dann gefährdet, wenn sich die Balance of Power verschiebt, das Machtgefüge (egal ob europäische Pentarchie, Bipolarität des Kalten Krieges oder amerikanische Hegemonie) also entscheidend verändert wird. Nun ist das aber (Iran hin oder her) im Nahen Osten nicht der Fall und ich bin absolut deiner Meinung, dass der Schlüssel zu einem friedlicheren Nahen Osten vor allem bei der israelischen Regierung liegt. Dabei muss Israel endlich einsehen, dass es als regionale Grossmacht (zumindest was das militärische Potenzial anbelangt) nicht auf jede terroristische Provokation mit einem unilateral-demokratisierten Bombenhagel antworten kann, ohne den goodwill des sich (zumindest öffentlich) schämenden europäischen Westens nachhaltig zu verspielen. Leider dudelt die in wirtschaftlichen Aspekten sonst so geeinte EU hier eine Kakophonie, die nicht einmal die Palästinenser ernst nehmen. Politischen und wirtschaftlichen Druck der Weltöffentlichkeit spürt Israel offenbar kaum. Auch die Schweiz liess sich ja dazu herab, auf eine völkerrechtliche Paragraphenreiterei zu verweisen, um das Sicherheitsabkommen mit der israelischen Regierung aufrecht erhalten zu können. Damit haben kurzfristige oder -sichtige politische Strömungen (Siedler u.a.) in der israelischen Demokratie einen absolut unverhältnismässigen Einfluss auf das Geschehen im Nahen Osten und somit auf die weltpolitische Grosswetterlage. Das Nachsehen haben die armen Bevölkerungsgruppen der umliegenden Länder, die dann - wen wunderts - zum Nährboden für neuen Terrorismus werden.
So, jetzt ists doch ein wenig mehr geworden...;) Lg und bis bald!

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Diese Seite enthält einen einzelnen am 15.08.06 14:05 erschienenen Blogeintrag.

Zuvor erschien in diesem Blog Der Krieg im Libanon ist ein Krieg der Medien.

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